Ich mag, wie ich aussehe: Meinen Hals, die großen Manschettenaugen, gefertigt aus Stahlguss. Ich finde, der gelbe Teint verleiht mir Exotisches und macht mich einzigartig. Auch meinen Standort liebe ich. Eine schöne Lage am Park, in der Nähe des Kindergartens. Wenn die Kleinen mit ihren bunten Kindergartentaschen, die Mädchen mit den weißen Kleidern und die Buben mit den Markenturnschuhen, sicher gekauft von ehrgeizigen Eltern, an mir vorbeigehen, lächle ich, weil ich sie nett finde. Doch nervt mich ihre Unbekümmertheit und das sie immer so gut aufgelegt sind. Ich weiß, wie sie heißen, weil sie sich ihre Namen im Vorbeigehen zurufen: Susanne, Sabine, Fritz und Marlene. Konrad und Albert. Manuela. Ich bin traurig, weil ich keinen Namen und keine Geschichte habe. Nur eine gravierte Seriennummer an der Seite: F. 134.

In den Nächten, wenn der Kindergarten geschlossen ist und die Straßen menschenleer sind, treibt es mich in Gedanken hinaus. Wir gehen dann die Einkaufsstraße entlang, neben mir G. 162 aus der Strankgasse. Er ist mein Freund, obwohl er rot ist. Er kommt von neben der Filiale der örtlichen Bank. Wir erörtern das Hydrantenschicksal im Allgemeinen und unseres im Speziellen. Wir steigern uns in eine Diskussion, ich erkläre ihm wie wichtig es mir ist einzigartig zu sein, endlich wahrgenommen zu werden. G. sagt, dass ihm das gleichgültig ist und er bringt den Vergleich mit den Versicherungen. Das dürfte mit seinem Standpunkt in der Nähe zur Bank zu tun haben, denke ich.

„Schau“, sagt G. „Auch eine Versicherung zahlst du ein Leben lang und bist froh, wenn du sie nicht brauchst, so musst du unseren Auftrag verstehen.“

„Ja“, antworte ich ihm, damit ich nicht weiter darüber reden muss, aber meine Unzufriedenheit steigt.

Wir lassen das Zentrum hinter uns, gehen die Freilandstraße weiter in Richtung Pauzdorf. Dort stehen sie und für uns steht vor Verzückung die Zeit still. Die Hydrantinnen C. 234 und M. 122. Sie sind nachtblau und wunderschön, haben silberne Rosetten und bunte Emailplaketten an den Stirnseiten. Als Hauptversorgungshydrantinnen sind sie für die Wasserversorgung unserer Brüder und  Schwestern im Süden der Stadt verantwortlich. G. ist bereits mit C. beschäftigt. Ich nähere mich M.. Durch das genormte Gewinde entsteht an ihrer Anschlussmuffe eine perfekte Verbindung. Mit hohem Druck schießt die Flüssigkeit durch unsere Körper. Eine wunderbare Sekunde lang.

Das Tageslicht holt mich aus diesen Nachtphantasien. Ich bin wieder hier mit meiner Unbeweglichkeit, meiner Unendlichkeit und meiner Unscheinbarkeit. F. 134, Hydrant in der Nähe des Kindergartens. Draußen vor der Stadt weint jetzt sicher Hydrantin M. 122, denke ich.

Hydranten sterben nicht, wir haben Wartungsintervalle. Alle zwei Jahre entleeren sie mich, bauen mein Hauptventil aus, um es zu putzen und wieder einzusetzen. Meine Dichtungen werden getauscht und die Gusseisenmanschettenaugen wieder aufgeschraubt. Der Moment, in dem sie dann mit der glühenden Spitze des Gravierapparates das Datum der nächsten Wartung in meine Haut schmelzen, schmerzt, weil ich Angst vor den nächsten zwei ereignislosen Jahren habe. Ich frage mich, wann endlich etwas passiert.

Ich höre das Heulen der Sirenen am Dach der Hauptfeuerwache. Mich erregt die Aussicht, dass ich gemeint sein könnte. Ich rieche Rauch, höre das Krachen von zerberstendem Holz, das Romanshorn der Feuerwehrautos und die Schreie der Kinder, die ich in ihren Hausschuhen aus dem Kindergarten flüchten sehe.

Die Feuerwehrleute verlegen die Schläuche am Boden, sie drehen meine Stahlgussmanschette herunter, befestigen an meinem Gewinde eine Kupplung und schrauben an meinem Hauptventil. Doch ich lasse es zu, stemme mich dagegen. Ich sehe die Chance endlich im Mittelpunkt zu stehen. Ich verhindere, dass auch nur ein Tropfen Wasser fließt.

Es dauerte lange bis der Tankwagen mit dem Wasser zum Löschen kommt. Durch die Hitze des Brandes sind alle Fenster im Erdgeschoß zerborsten, ich kann bis in die Garderoben sehen. Kindergartentaschen, Kleider und Markenturnschuhe liegen dort. Verkohlt. Heute war ich wichtig, habe alle überrascht und eine Entscheidung getroffen, denke ich.